von Martina Fries
•
10. November 2023
Perspektive 1: Ich heiße Martin , der Krieger. Dabei war mir das Kriegerische immer schon zuwider. Ich hasse es, Soldat sein zu müssen, nur weil mein Vater einer ist. Am ehesten konnte ich mich noch mit dem Dienst als Leibwächter von Kaiser Konstantin abfinden. Das Leben anderer Menschen war mir immer schon wichtig. Deshalb fasziniert mich auch der Glaube an Jesus Christus. Deshalb habe ich mich zur Taufe angemeldet und bereite mich nun auf sie vor. Da passt mein Name dann doch zu mir. Wenn mir etwas wichtig ist, dann kämpfe ich dafür. Meine Eltern wollten nicht, dass ich das mit der Taufe durchziehe. Mein Vater hat mich verraten, als ich mich vor dem Militärdienst versteckt habe. Nun bin ich Soldat. Aber ich versuche, es anders zu machen. Meinen Sklaven - einen musste ich nehmen - behandle ich mit Respekt und Würde. Wir essen gemeinsam. Wir teilen alles. Ich bin nicht reich, aber was ich hergeben kann, teile ich mit Menschen, denen es nicht so gut geht wie mir. Andere Einstellungen zu haben, so anders wie möglich zu leben, ist nicht immer ganz leicht. Manchmal werde ich mit Gewalt zu Dingen gezwungen, die ich nicht möchte, wie zum Militärdienst. Manchmal werde ich ausgelacht und verspottet wie damals am Tor von Amiens, als ich dem frierenden Bettler die Hälfte meines Mantels gab. Und nie ist es ohne Risiko für mich. Ein Risiko, das ich aber gerne auf mich nehme, da mir die Liebe den anderen Menschen gegenüber so wichtig ist. Deshalb bin ich auch froh, dass ich als Soldat noch niemanden töten musste. Und ich bin sehr froh, wenn ich mich endlich aus dem Kriegsdienst zurückziehen und ein anderes Leben führen kann. Auch das wird nicht ohne Risiko sein. Aber ich vertraue meinem Glauben. Perspektive 2: Keine Ahnung, wie ich in diese Situation gekommen bin. Ich hatte einen guten Job, den ich recht gerne gemacht habe. Ich hatte Freunde, mit denen ich viel Zeit verbracht habe. Ich hatte eine kleine Wohnung, in der ich mich wohlgefühlt habe. Ich hatte zu Essen und zu Trinken, ein wenig Luxus. Und jetzt sitze ich hier. Keinen Cent mehr in der Tasche. Keine Wohnung, keine Nahrung, keine Kleidung, kein Geld. Nichts ist von meinem alten Leben geblieben. Anfangs hatten gelegentlich ein paar Freunde gefragt, wie es mir geht. Hilfe angeboten hatte mir jedoch niemand. Und heute gehen sie an mir vorbei, so als ob sie mich nicht kennen würden. Ein Fremder, ein Bettler, ein Obdachloser. Mehr bin ich nicht mehr für sie. Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben sich in diese Richtung entwickeln würde. Ich fühle mich vollkommen allein und stehe mit nichts da. Ob ich da bin oder tot wäre. Niemand fragt mehr nach mir. Da hinten kommt ein stolzer Soldat auf seinem Pferd. Er wird an mir vorbeireiten, wie all die anderen heute. Niemand hat mich beachtet oder mir etwas Kleines gegeben. Nicht ein paar Cent. Oder ein trockenes Brötchen, damit wäre ich schon zufrieden. Der Soldat könnte mir sicherlich etwas Geld geben. Die verdienen gut, haben ein gutes und angenehmes Leben. Hoch auf seinem Pferd muss er auf mich herabschauen, um mich zu sehen. Alle seine Kameraden sind heute einfach an mir vorbeigeritten, haben mich keines Blickes gewürdigt. Ich dachte erst, er wollte mich mit seinem Schwert erschlagen. Doch dann hat er seinen Mantel geteilt und mir ein Stück davon gegeben. Ich will nicht undankbar sein, aber etwas zu Essen oder ein paar Cent hätten mir erstmal mehr geholfen. Sei es drum. Wenigstens ist mir jetzt nicht mehr so kalt. Der Mantel schützt mich vor dem kalten Wind und dem Nieselregen. Viel mehr als das Stück Mantel freut mich, dass er mich gesehen hat. Er ist von seinem Pferd zu mir hinabgestiegen ist. Ein wenig Hoffnung in dieser Zeit und für den Rest des Tages. Ich bin dankbar, dass ich gesehen worden bin. Perspektive 3: Ich stehe am Straßenrand. In den letzten Tagen ist es kalt geworden. November, dieser triste Monat, der den Winter bringt, Dunkelheit und Kälte. Wie gut, dass ich gleich heim kann in mein warmes Zuhause. Mir fällt ein Mann auf, es scheint ihm nicht gut zu gehen. Ich gehe ein wenig näher und da sehe ich, er hat kaum Kleidung an. Zerfetzte Schuhe, kaputte Hose, ein durchlöchertes Tuch, das man wirklich nicht mehr Pullover nennen kann. Es bedeckt den Körper des Mannes kaum. Er zittert und friert. Aber was macht er hier? Es ist schon spät. Diese Kreuzung ist kein Ort, an dem man verweilen sollte. Vor den Toren der Stadt ist es gefährlich. Gerade als ich mich ihm nähern möchte, höre ich Pferdegalopp. Ich schaue hoch und sehe römische Soldaten in Richtung der Stadt reiten. Die schlagenden Hufe sind laut, die Soldaten angsteinflößend. Sie sind schon fast alle an mir und auch dem armen Mann am Straßenrand vorbeigeritten, da bleibt einer von ihnen stehen. Dreht sich um. Reitet auf den Mann zu. Der Soldat, hoch oben auf dem Pferd, der Mann ganz unten am Boden. Ich sehe, wie der Mann erschrickt. Er duckt sich weg, er hat Angst vor diesem großen Mensch auf dem Pferd mit seiner römischen Uniform und dem riesigen Man-tel. Ohne zu Zögern reißt der Soldat sein Schwert aus der Scheide und zieht seinen Mantel aus. Und ohne zu Fragen, durchtrennt er seinen Mantel mit dem Schwert. Das Durchtrennen ist laut, ich zucke zusammen. Der Soldat nimmt einen Teil des durchtrennten Mantels und wirft ihn dem Mann über die Schultern. Der Mann ist zuerst verwirrt, er versucht noch etwas zu sagen, aber der Soldat hat sich schon weggedreht. Beim Wegreiten höre ich, wie die anderen Soldaten ihn auslachen. Ich stehe noch kurz etwas ratlos dort an der Kreuzung. Sehe wie der Mann sich in den Mantel einwickelt, höre sein erleichtertes Aufatmen. Ich laufe an ihm vorbei, sehe noch einmal seine abgemagerten Arme, seine eingefallenen Wangen, seine leeren Augen. Und ich lasse ihn hinter mir, alleine. Auf dem Nachhauseweg frage ich mich, wer dieser Soldat war, der so selbstsicher, ohne zu überlegen, einfach geholfen hat. Der den Spott in Kauf genommen hat. Aber ich frage mich auch, ob der halbe Mantel eine wirkliche Hilfe für den Mann war, ob er, wenn man ihn gefragt hätte, nicht eine andere Art von Hilfe bevorzugt hätte. Evangelium: Mk 10,46-52 mit Fragen: Dann kam Jesus nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Volksmenge die Stadt verließ, saß ein blinder Bettler am Weg. Es war Bartimäus, der Sohn von Timäus. Stell Dir vor: Du bist Bartimäus. Du bist blind und musst daher hier am Weg sitzen, in der Hoffnung, dass Menschen, die vorbeikommen, dir etwas spenden. Was denkst du, als du hörst, dass Jesus da ist. Was tust du? Es war Bartimäus, der Sohn von Timäus. Als er hörte, dass Jesus aus Nazaret da war, fing er an, laut zu rufen. »Jesus, du Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir!« Stell Dir vor: Du bist eine*einer von denen, die mit Jesus unterwegs sind. Wie geht es dir damit, dass und was Bartimäus ruft? Viele fuhren ihn an: »Sei still!« Aber der Blinde schrie noch viel lauter: »Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir!« Stell Dir vor: Du bist Jesus, du hörst den Mann nach dir rufen. Und du bekommst mit, wie die, die dich begleiten, ihn zum Schweigen bringen wollen. Was geht dir durch den Kopf? Was tust du? Da blieb Jesus stehen und sagte: »Ruft ihn her!« Die Leute riefen den Blinden herbei und sagten zu ihm: »Nur Mut! Steh auf, er ruft dich!« Da warf der Blinde seinen Mantel ab, sprang auf und kam zu Jesus. Jesus fragte ihn: »Was willst du? Was soll ich für dich tun? «Der Blinde antwortete: »Rabbuni, dass ich sehen kann!« Jesus sagte zu ihm: »Geh nur, dein Glaube hat dich gerettet.« Sofort konnte er sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg. Stell Dir vor: Du bist ein Bewohner / eine Bewohnerin von Jericho. Du hast den ganzen Vorfall mitbekommen. Wie der Blinde gerufen hat. Wie die Jünger ihn zum Schweigen bringen wollten. Wie Jesus ihn zu sich gerufen und sehend gemacht hat. Was denkst du? [c] 2023 Katrin Altmaier, KHG Saarbrücken , Dirk Baltes, Schulpastoral im Pastoralen Raum Saarbrücken, Martina Fries, welt:raum